Es ist der 11. Oktober 2014 um 04:00 Uhr, der Wecker klingelt. Nach einer sehr kurzen Nacht beginnt der Tag der Tage in diesem Jahr. Mit einem Kribbeln im Bauch schäle ich mich aus dem Bett. Vom Balkon hört man das Meer rauschen, aber es ist noch komplett dunkel.
Jetzt läuft, wie schon bei vielen Ironman Rennen erprobt, das unmittelbare Vorbereitungsprogramm ab. Jeder hat da so sein Ritual. Da es mir am Renntag so früh am Morgen schwer fällt, normal zu frühstücken, genehmige ich mir ein Drink-Frühstück von Ultra Starter. Das ganze schmeckt zwar wie Presspappe mit Wasser, aber ich hatte damit sehr gute Erfahrungen gemacht.
So das mit dem Essen zu dieser frühen Zeit ist jetzt mal erledigt. Jetzt erst dick mit Sonnencreme Lichtschutzfaktor 50+ einschmieren und die am Vortag zurechtgelegten Wettkampfsachen anziehen. Danach ab zum Shuttle Bus, der im 10 Minuten Tackt den Alii Drive entlang bis zum Pier fährt. Das Rad und die beiden Wechselbeutel für Radfahren und Laufen musste ich schon am Vortag in der Wechselzone am Pier abgeben.
Vor dem Hotel sammeln sich die Athleten und Zuschauer, um zum Pier gebracht zu werden. Manch einer sieht aus, als ob er zum Henker geführt werden soll. Selbst bin ich vor meinem zweiten Start hier in Hawaii noch relativ entspannt. Trotzdem drehen sich zu diesem Zeitpunkt meine Gedanken um das, was auf mich in Kürze zukommen wird und was noch alles vor dem Start zu erledigen ist.
Je Näher der Bus Richtung Pier kommt, umso lauter wird es und der Trubel an Leuten nimmt zu. Der Bus hält endlich und ich werde um kurz vor 5 Uhr am Pier von Musik und von, wie die aufgeschreckten Hühner, herumlaufenden Athleten empfangen. Glücklicherweise kenne ich den Ablauf und gehe direkt zum Body-Painting-Zelt, um mir meine Kriegsbemalung in Form der Startnummer abzuholen. Start ist zwar für mich erst um 6:50, aber diese Zeit ist durch den vorgegebenen Ablauf in der Wechselzone schnell aufgebraucht.
Diesmal gibt es keine Stempelnummern auf den Arm, sondern Tatoonummern, die unbedingt so aufgeklebt werden mussten, dass der Sponsor gesehen wird. Danach geht es zum Wiegen. Bin selber überrascht wie leicht ich geworden bin. Die Waage zeigt gerade mal 72 kg an. Endlich bin ich beim Rad und kann es für das Rennen vorbereiten. Danach alles für den Schwimmstart klarmachen und die Arme um die Nummer mit Sonnencrem einschmieren. Um 6 Uhr bin ich mit Allem soweit fertig.
Die Profis sind bereits im Wasser und schwimmen sich ein. Start für diese ist um 6:30 Uhr. Die amerikanische Nationalhymne wird gesungen und ich wundere mich, warum alle in den Himmel schauen. Den Grund dafür merke ich, als der erste Fallschirmspringer in das Wasser saust. Na Amis und das Show -Business. Mit einem Donnerschlag werden die Männer und 5 Minuten später die Frauen der Profiathleten auf die lange Reise geschickt. Nun dauert es nicht mehr lange und auch für mich geht es los. Die Wetterprognosen für das Rennen sind ja nicht gerade so, dass ich jubeln könnte. Angesagt war ein hoher Wellengang, sehr viel und stark böiger Wind und zudem sollte es noch sehr heiß werden. Na die idealen Bedingungen, um auf der Strecke viel Spaß zu haben. Beim Wellengang hatten die Wetterfrösche schon mal die richtige Vorhersage gemacht, wie ich beim Start der Profis beobachten konnte.
So, jetzt geht es für mich los. Am Einstieg zum Schwimmen stauen sich die Athleten, da einige noch unentschlossen sind, ob sie bis zu letzten Augenblick am Ufer verbleiben oder sich Richtung Startlinie begeben.
Ich nutze die restliche Zeit, mich einzuschwimmen und halte mich im Bereich der Startlinie an einer roten TYR Werbeboje fest. Dort hänge ich mit anderen Athleten, um noch ein paar Körner sparen zu können. Jetzt merke ich, wie es mich durch den Wellengang ziemlich hin und her beutelt. Als meine Uhr noch zwei Minuten bis zum Start anzeigt, lasse ich mich zur Startlinie vortreiben, die sich ca. 2 Meter vor mir befindet. Auf dem Weg dorthin plötzlich ein Kanonenschlag und es geht los. Diesmal hatte ich mich ziemlich mittig von der Startlinie eingeordnet. Dies tat ich aus den Erfahrungen von 2011, da ich damals auf den ersten 500m ziemlich Prügel bezogen hatte. Diesmal scheint dies aufzugehen. Nach der anfänglichen Spurteinlage, um meinen Platz im Feld zu finden, gelingt mir relativ schnell, mein Renntempo zu finden.
Durch die langgezogenen Wellen ist es nur auf dem Wellenberg möglich, überhaupt die Bojen zu sehen. Gedanklich beschäftige ich mich mit der Einhaltung der Schwimmtechnik und versuche mir, in der Schwimmgruppe ein Paar Füße zu suchen, um Kraft für den Rückweg zu sparen. Nach 1,9 km gerade auf das Meer hinaus, kommt der Wendepunkt immer näher. Aber dort drängt sich der ganze Pulk durch diese Engstelle. Während des ganzen Weges kamen die Wellen direkt von vorne, aber jetzt bekam ich eine schöne Breitseite ab. Neben den etwas schaukligen Weg um den Wendepunkt geht das Ziehen und Schlagen los. Neben mir war zu diesem Zeitpunkt einer der Marke „ Rücksicht, was ist das“. Schubsen und schieben ok. Als ich von dem besagten eine Faust in das Gesicht bekam, hab ich auch mal in die Trickkiste gegriffen und diesen unlauteren Schwimmer versenkt!
Die Hälfte ist vorbei und ich fühle mich noch gut. Die Arme sind noch locker und ich bin in einer guten Gruppe drin. Der erste Blick Richtung Rückweg und Pier verrät mir, wie weit es wieder zurück ist. Die Wellen kommen jetzt zwar von hinten, aber ich schwimme jetzt gegen die Strömung. Durch die Strömung kommt mir der Rückweg länger vor und ich habe das Gefühl, dass der Pier und der Schwimmausstieg einfach nicht näher kommen wollen. Je näher ich dem Schwimmausstieg komme, umso lauter wird es. Jetzt endlich auf Höhe des Piers werde ich von den Anfeuerungsrufen der Zuschauer empfangen. Endlich, der Schwimmausstieg ist da. Bedingt durch die Wellen falle ich den Helfern fast in die Arme. Fix werde ich aus dem Wasser auf die Treppe gezogen. Das Schwimmen ist gut überstanden.
Jetzt schnell die Wechseltüte schnappen, hinein in das Wechselzelt und hin zum Rad. Der Wechsel läuft ohne Problem ab. Da ich mir 2011 bei meinem ersten Ritt durch die Lavawüste extrem die Arme und den Rücken durch die Sonne verbrannt habe, gönne ich mir die Unterbrechung bei dem Helfer mit dem Bottich mit Sonnencreme und lasse mich dick einschmieren. Hab beim Laufen zum Rad noch durch den starken Wellengang bedingt das Gefühl, dass ich immer noch etwas schaukle. Helm auf und es geht los. Endlich auf dem Rad und auf geht’s zur Schleife in Kona bis es raus geht auf den Highway Richtung Hawi. Schnell finde ich meine Trittfrequenz und jage mit den Anderen den K-Queen Highway Richtung Flughafen. Sofort beginne ich mein Ernährungs-konzept umzusetzen, um die verlorene Energie vom Schwimmen wieder aufzufüllen. Noch sind die Temperatur und der Wind akzeptabel. Ich mache bis KM 50 gut Geschwindigkeit und sammle Einen nach dem Anderen ein. Und dann kam er! Mit einem Schlag war er da, der gefürchtete Wind. Als vor mir die Athleten plötzlich einen guten 2-Meter-Satz zur Seite machen, heißt es, den Lenker festhalten. Die Durchschnittsgeschwindigkeit sinkt von 40km/h auf 25 km/h, obwohl ich noch mehr Druck auf die Pedale bringe. Nebenbei versuche ich noch, meine Ernährungsintervalle einzuhalten. Als vor mir einer, beim Versuch einen Energieriegel zu essen, vom Wind weggedrückt wird und im Lavafeld einschlägt, gingen bei mir alle Alarmglocken an. Ab diesem Zeitpunkt entschied ich mich, nicht nach Zeitplan zu ernähren, sondern so, wie der Wind es zuließ. Obwohl die Strecke nur wellig ist, komme ich mir vor, als ob ich einen steilen Berg hinauffahre. Meine Oberschenkel schmerzen und die Sonne brennt mittlerweile ziemlich runter. Langsam wird es so richtig kuschlig warm und das Radfahren macht gerade so richtig Spaß!
Jetzt abbiegen und die letzten 30 km hoch nach Hawi zum Wendepunkt der Radstrecke. Als Hinweis zur Einschätzung, ob und wie stark der Wind hinauf nach Hawi ist, sollte man auf das Meer hinaus schauen. Je mehr Schaumkronen auf der Meeresoberfläche, desto stärker ist der Wind. Leider werde ich jetzt schon heftig durch den Wind durchgerüttelt und das Meer ist komplett mit weißen Schaumkronen bedeckt. Na toll, denke ich mir im Stillen. Man könnte ja sagen, dass der Wind ja auch einen Vorteil hätte und kühlt, aber nicht auf Hawaii. Jetzt gilt es, die Aufgabe, den Körper mit Wasser runter zu kühlen, an jeder Verpflegungsstelle, selbst auf dem Rad, zu erfüllen.
Während ich mich noch Richtung Wendepunkt hochkämpfe, kommt mir die Spitze der Profis mit einem Affenzahn entgegen. Im Gedanken sag ich mir, dass ich auch bald oben bin und mich auf den Rückweg begeben kann. Nach zähen weiteren 20 km ist endlich Hawi erreicht und es geht zurück, in der Hoffnung, dass der Wind nicht zu schnell dreht. Ich gehe davon aus, dass bei der Abfahrt hinunter zum Abzweig, auf den Highway zurück nach Kona, ich mit großer Wahrscheinlichkeit ziemlich von dem Seitenwind hin und her geschüttelt werde. Bei der Fahrt hoch sind die Windböen zwar auch zu spüren, aber die Geschwindigkeit ist ja nicht so hoch, da es wellig Bergauf geht. Bevor mich der Wind wieder so richtig im Griff hat, versorge ich mich ausgiebig mit Energie, damit ich meine Hände etwas länger am Lenker behalten kann. Der Wind hat mittlerweile Gel und Iso-Getränk gleichmäßig über mein Rad und Lenker verteilt. Obwohl mich die Böen stark hin und her drücken, bleibt mein Fahrrad doch relativ stabil. So kann ich doch relativ schnell die Abfahrt nehmen. Insgeheim hoffe ich, beim Erreichen des Abzweigs zum Highway, dass der Wind nicht so schnell dreht.
Die Abfahrt ist ohne Sturz überstanden und ich habe den Rückweg angetreten. Jetzt nur noch 60 km zurück. Der Wind weht jetzt schräg von hinten und ich kann meinem Tacho fast nicht glauben. Der Streckenabschnitt ist relativ flach und ich hab ein Tempo von 62 km/h drauf. Dieser Geschwindigkeitsrausch ist aber nach ca. 5 km jäh vorbei. Der Wind dreht leicht und die Streckenführung führt mich so, dass ich meinen liebsten Freund, den Wind, wieder schräg von vorne habe. Immer wieder versuche ich mich, mit Wasser zu kühlen um meine Körpertemperatur im Glutofen der Lavawüste auf ein erträgliches Maß unten zu halten. Im Gedanken gehe ich den Streckenverlauf durch und hoffe, dass ich bald in der Nähe des Flughafens bin. Endlich taucht am Horizont der Turm des Flughafens auf und die Strecke fliegt an mir vorbei. Kurz vor der Wechselzone am Pier rasen Zwei, die sich ständig in meiner Radgruppe hinter mir versteckt haben, wie von der Tarantel gestochen, an mir vorbei. Ich denke mir, fahrt nur zu und macht eure Beine platt. Beim Laufen hab ich euch gleich wieder. Als ich auf die Palani Road einbiege, sehe ich aus dem Augenwinkel den Führenden Sebastian Kienle, wie er die Palani Road hinauf läuft. Der hat es gut, da er schon 16 km Laufen weg hat.
Jetzt für den letzten Wechsel konzentrieren. Radschuhe öffnen und raus aus den Schuhen, um einen zügigen Wechsel durchzuführen. Die Musik wummert im Wechselbereich und die Einsamkeit des Highways ist vorbei.
Vor der Line zum Absteigen stehen schon die Helfer, um mir das Rad abzunehmen. Wie geübt springe ich im Ausrollen vom Rad ab und übergebe dem Helfer mein Rad. Im Wechselbereich ist auf dem Boden ein Kunstrasenteppich verlegt. Durch das ständige Kühlen beim Radfahren sind meine Füße komplett aufgeweicht. Um zum Wechselzelt zu kommen, muss ich einmal komplett um den Pier laufen. Meine Füße brennen durch den Teppich wie Feuer. Ich schnappe mir meinen Beutel mit den Laufsachen und ziehe mich um. Am Ausgang vom Zelt stehen die immer gut gelaunten Helfer mit einem großen Topf mit Sonnencreme. Ich bremse kurz ein und lasse mir eine dicke Ladung an Creme auf die Schultern und Rücken schmieren. Irgendwie bin ich jetzt froh, zu laufen. Das Hinterteil brummt ganz schön vom Radausflug in die Lavalandschaft. Ich bin die ersten Meter auf der Laufstrecke und die Zuschauer peitschen mich nach vorne. Jetzt nur nicht zu schnell den Marathon angehen. Obwohl die Radstrecke meine Beine ziemlich ausgelaugt hat, komme ich schnell ins Laufen rein. Die Zuschauer stehen jetzt dicht an dicht gedrängt am Alii Drive und feuern mich an. Mit diversen verschiedenen Dialekten rufen diese meinen Namen, der auf der Startnummer steht. Bei manchen Varianten hätte ich mich vor Lachen weghauen können. Meine Beine sind zu diesem Zeitpunkt wieder etwas locker und ich kann etwas Tempo aufnehmen.
Schnell habe ich die zwei Pappnasen vom Radfahren eingesammelt und bin wieder positiv im Kopf aufgestellt. Auf dem welligen Weg zur Blue Church, der den Umkehrpunkt auf dem Alii Drive markiert, beginne ich, die Läufer vor mir einzusammeln. Die Verpflegungsstrategie kann ich jetzt wieder planmäßig auf-nehmen. Jetzt bin ich mir sicher, die nicht gerade geplante Verpflegungs-aufnahme auf dem Rad, gut überstanden zu haben. Momentan läuft alles wieder nach Plan. Der Kopf spielt bis jetzt mit und das Überholen der Konkurrenz tut sein Übriges, um mich anzuspornen. Zügig erreiche ich den Wendpunkt an der Kirche und merke, dass die Beine doch langsam etwas müde werden. Sofort meldet sich der innere Schweinehund und versucht mir einzureden, dass ich vielleicht zu schnell los gelaufen bin. Mit positiven Gedanken schaffe ich dies, erst mal aus meinen Kopf zu entfernen. Die Gesichter der Läufer, die mir jetzt entgegenkommen, zeigen mir, dass ich nicht der Einzige bin, der schon ziemlich kaputt ist. Mit der Hitze komme ich auch gut zurecht. Bei jeder Verpflegungs-stelle kippe ich mir Unmengen an Wasser über den Kopf. In der Nähe der Palani Road, bei km 16, kommt der Teil zum Beißen und Einfachdurch. Dieser Berg kommt mir zu diesem Zeitpunkt des Rennes vor, als ob ich die Zugspitze hochlaufen muss. Was am Ende dieser Steigung auf mich wartet, spornt mich nicht gerade an, um dort oben schnell anzukommen. Es bedeutet, dass es wieder in die Lavawüste und in die Einsamkeit, ohne viel Zuschauer, geht. Als ich gerade dorthin einbiege, kommt mir Jan Frodeno entgegen, der es ja nun fast geschafft hat.
Mit der Hitze kam ich bis jetzt sehr gut zurecht. Da jetzt nachmittags der Asphalt gut aufgeheizt ist, kommt es mir vor, als ob vor mir einer läuft, der mich ständig heiß an föhnt. Ich taste mich nun von Verpflegungsstelle zu Verpflegungsstelle. Der innere Schweinehund klopft mittlerweile immer häufiger an und jetzt geht es mir gar nicht mehr um eine gute Zeit, sondern nur noch um das Ankommen. Die Profis, die mir jetzt entgegenkommen, sehen so aus, wie ich mich gerade fühle. Jetzt hab ich aber gerade 25 km hinter mir und noch 17 km vor mir. Zu diesem Zeitpunkt schmerzt einfach alles und ich beschäftige mich im Gedanken damit, was ich an der der nächsten Verpfle-gungsstelle wann und wie mache. Kühlen mit Schwämmen, mit Eiswürfeln, mit Wasser und alles in mich rein schütten, was irgendwie nach Flüssigkeit aussieht und an jeder zweiten Stelle Energiegels. So schleppe ich mich von Punkt zu Punkt und überhole trotzdem noch Läufer. Die Kühlung ist kurz, danach gleich wieder weg. Endlich, der Abzweig zum Energy Lab. Dort ist es generell 5 Grad heißer. Wenn ich hier wieder raufkomme, hab ich nur noch 10 km vor mir. Immer häufiger schießt mir durch den Kopf, einfach mal zu gehen oder stehen zu bleiben, für ein paar Sekunden nur. Immer wieder versuche ich mich damit aufzumuntern, dass ich es ja fast schon geschafft habe. Obwohl ich ziemlich fertig bin, laufen meine Beine wie von selbst. Hier im Energy Lab gehen viele in der Verpflegungsstelle, um etwas mehr Zeit zum Trinken zu haben. Obwohl zu diesem Zeitpunkt alles in mir danach brüllt, dies auch zu tun, laufe ich mit starrem Blick weiter. Ich halte meinen Mund auf und schütte alles Flüssige in mich rein, was ich greifen kann.
Bin wieder oben auf dem Highway und raus aus dem Backofen im Energy Lab. Vermutlich sehe ich jetzt auch aus wie ein Zombi, der nur noch aus reiner Willenskraft weiterläuft. Jetzt weiter zurück Richtung Ziel und ich muntere mich immer wieder auf, das ich fast schon da bin, am Pier. Aber das „Fast-schon-da“-Gefühl zieht sich momentan unendlich lange dahin. Der Kopf sagt einem zwar, dass es doch noch ein ganzes Stück ist, aber bei jeder Kuppe hofft man, den letzten Abzweig zur Palani Road zu sehen. Immer noch strömen mir Massen an Athleten entgegen. Mittlerweile sehe ich nur unmittelbar vor mir auf den Boden, um nicht von der Unendlichkeit des Highways erschlagen zu werden. Und immer wieder hangle ich mich von einem Verpflegungspunkt zum Anderen. Endlich, vor mir taucht der letzte Hügel vor dem Abzweig auf und ich werde von den Leuten von Hannes mit einem Gebrüll von Anfeuerungen förmlich ins Ziel gepeitscht. Plötzlich erwache ich und genieße diese Emotions-dusche für die letzten 3 km. Mit großen Schritten eile ich die Palani Road hinunter. Obwohl jeder Muskel in mir schreit, einfach umzufallen und liegen zu bleiben, puschen mich die Zuschauer so, dass ich alle Qualen vorhin auf dem Highway vergesse. Mittlerweile bin ich schon sehr gezeichnet, aber viele rufen mir zu, dass ich noch sehr gut Aussehe und ich bis jetzt einen super Job gemacht habe.
Vor mir die letzte Verpflegungsstelle, ungefähr in der Mitte des Berges. Nun sind es nur noch rund 2 km bis zum Ziel. Dankbar nehme ich die Möglichkeit der Abkühlung an. Unten angekommen hört man ganz deutlich den Lärm vom Ziel. Wenn ich nun geradeauslaufen würde, wäre ich in ca. 500m schon im Ziel. Aber durch den Streckenverlauf muss ich nach links abbiegen und noch eine Schleife laufen. Aber jetzt ist alles schon egal. Als ich nun endlich auf die letzten Meter zum Ziel einbiege, ist jeder Schmerz weg und mir läuft bei jedem Schritt ein Schauer über den Rücken. Im Gegensatz zur Einsamkeit auf dem Highway, stehen hier die Zuschauer dicht an dicht. Man kann es durchaus mit der Stimmung am Solarer Berg in Roth vergleichen. Somit laufe ich schon vor der Zielgeraden durch einen Tunnel voll brüllender Zuschauer. Ich drehe mich kurz um und sehe ca. 30 Meter hinter mir noch einen anderen Athleten. Unsere Blicke treffen sich und wir sind uns einig, dass jedem jetzt sein Zieleinlauf gegönnt wird und keiner mehr Lust auf einen Zielsprint hat. Schon höre ich über den Lautsprecher, wie meine Ankunft im Ziel mit meinem Namen und Herkunft angekündigt wird und die Zuschauer begrüßen mich mit Jubel im Zielkanal. Als ich nach einem sehr harten Rennen die Ziellinie überquere höre ich den Ruf „ You are a Ironman“!
Im Nachhinein hab ich erfahren, dass an diesem Renntag die schlimmsten Wind- und Wetterverhältnisse seit 15 Jahren geherrscht haben. Meine Zeit war zwar ähnlich wie 2011, aber diesmal ist dies viel höher zu bewerten. Insgeheim habe ich mit diesem Rennen meinen Frieden geschlossen und zu diesem Zeitpunkt keine Ambitionen, in den kommenden Jahren nochmal zu Starten.
Aber, sag niemals nie!!!!